Gestrandet in Ostafrika
– William Boyd, ein in Ghana groß gewordener schottischer Autor, ist was für Jane-Austen-Fans. Sein Blick auf die Gesellschaft ist satirisch und präzise; er ist ein stiller Beobachter, der Augen und Ohren offenhält, wo andere schon längst abgeschaltet haben. Das Sujet unterscheidet sich freilich von denen Austens: „Eiskrem-Krieg“ ist ein Kriegsroman, der in Ostafrika spielt. Dort hoffte man, den Ersten Weltkrieg innerhalb von zwei Monaten beenden zu können, da die Briten das Klima schlecht vertrügen. „Wir werden alle schmelzen wie Eiskrem in der Sonne!“, schrieb Soldat Francis Harold Burgess nach Hause an seine Schwester. Aber hier wie dort dauerte er vier Jahre. Mit einem hohem Blutzoll unter britischen Kolonialisten – und vor allem den von ihnen Kolonisierten.
Von Christiane Geldmacher, erstmals erschienen im CrimeMag, Berlin, am 12. Januar 2013.
Der Krieg zwischen Briten und Deutschen 1914–1918 war in Afrika besonders bizarr. An einer bescheuerten Frontlinie im afrikanischen Busch kämpfen die Briten mit indischen Soldaten gegen die Deutschen mit einheimischen Soldaten. Eben noch haben die Kolonialmächte ähnliche Interessen in Afrika verfolgt, jetzt stehen sie sich als Feinde gegenüber. Man kannte sich, man traf sich bei gesellschaftlichen Ereignissen, man machte miteinander Geschäfte. Innerhalb nur weniger Tage korrumpiert der Krieg alle Beteiligten. So wird der amerikanische Farmer Temple Smith, der auf der britischen Seite der Grenze lebt, von seinem Nachbarn Erich von Bishop enteignet und während der ganzen Kriegsjahre seine Farm nicht wiedersehen.
Andere Protagonisten des Romans sind Gabriel Cobb, ein Offizier der britischen Armee, der von Kent aus nach Ostafrika in den Krieg zieht, sein Bruder Felix, der zunächst in Oxford studiert, die alleingelassene Frau seines Bruders verführt, die daraufhin Selbstmord begeht (das vor allem sind die, in England spielenden, Austen’schen Anteile des Buchs). Voller Schuldgefühle fährt er seinem Bruder nach Ostafrika nach, um sich bei ihm zu ent-schuldigen; er wird ihn jedoch nicht mehr lebend wiedersehen.
Boyds „Eiskrem-Krieg“ ist episch und multiperspektivisch konzipiert und besteht neben dem Prolog und dem Epilog aus vier Teilen: Vor dem Krieg, Der Krieg, Zum Nachtisch Krieg und Nach dem Krieg. Das ist eine gute Konzeption, auch wenn das auf fast 600 Seiten manchmal zu langatmig wird. Der Fokus, den Boyd setzt, sind immer die normalen Leute, die völlig andere Interessen als kriegerische Auseinandersetzungen haben. Die Krieg auch nicht können – aber das gilt auch für ihre dilettantischen Vorgesetzten. Vergeblich versuchen alle, einen Sinn in die Kampfhandlungen hineinzulesen; am Ende werden sie alle daraus als Verlierer hervorgehen.
William Boyd (2009)
Reales Geschehen
Die stärkste Passage des „Eiskrem-Kriegs“ ist ohne Zweifel das Gefecht in der Hafenstadt Tanga Anfang November 1914, die sich als besonders desaströs für die Briten herausstellte. Ihre Truppen bestanden aus rund 8000 Mann: einem britischen Regiment und acht indischen Regimentern. Trotz verspäteten Eintreffens in Tanga hatten die Briten zwar das Überraschungsmoment für sich, aber den Deutschen gelang es, sich unter dem Kommando Paul von Lettow-Vorbecks mit nur 1000 Mann schnell zu sortieren. Und: Die Deutschen hatten Maschinengewehre. Die schwarzen Askaris mähen die Royal Kashmir Rifles damit nieder.
Die feindlichen deutschen Truppen waren jedoch nicht der einzige Feind der Briten: Im offenen Gelände wurden sie von aggressiven Bienenschwärmen angegriffen und flüchteten planlos. Keine der militärischen Einheiten wusste, wo sie hingehörten. Ihr Vorgehen war unkoordiniert. Angriffe erfolgten auf Zuruf. Ständig begegnete sich in entgegengesetzten Richtungen.
Das Gefecht bei Tanga wurde als schwerer militärischer Fehlschlag für die Briten gewertet. Sie hatten rund 1000 Tote zu beklagen gegenüber „nur“ 70 bei den Deutschen. Boyds Klassiker, der erstmals 1982 erschien, beschreibt die Sinnlosigkeit des Kriegs aber weniger anhand abstrakter Totenzahlen, sondern vielmehr mit der schonungslosen Schilderung der allgemeinen Unwissenheit, dem allgemeinen Wahnsinn, dem allgemeinen Unsinn. Dieses in authentischen, brutalen Bildern.
Boyd legt den Fokus auf die Unfähigkeit aller. Er schafft damit eine besondere Art Antikriegsroman, die die Identifikation mit seinen Figuren unmöglich macht. Sie haben alle charakterliche Defizite. Nicht die eine oder andere Macke, sondern wirkliche Defizite. Dass zum Schluss des Buchs ein geplanter Mord eines Protagonisten nur durch den natürlichen Tod des Opfers verhindert wird, ist dabei eine weitere aberwitzige Pointe William Boyds.
Christiane Geldmacher
William Boyd: Der Eiskrem-Krieg (An Ice-Cream War, 1982). Roman. Deutsch von Hermann Stiehl. Berlin: Bloomsbury Verlag 2012. Zum Buch. Zur Webseite des Autors. Boyd bei CrimeMag. Zum Blog von Christiane Geldmacher.
William-Boyd-Foto: wikimedia commons, Michael Fennell, Ostafrika-Soldaten-Foto: Bundesarchiv.